Tafelrunde Denkerei: Über die Einheit von Glauben und Wissen

Ich glaube, ein Dreieck zu sehen. Ich weiß, dass es eine optische Täuschung ist. Das Wissen hebt die Täuschung aber nicht auf: Das ist die Realität des Zaubers, objektiver Geist unseres Gehirns., Bild: Gestaltung: QART, Hamburg. + 1 Bild
Ich glaube, ein Dreieck zu sehen. Ich weiß, dass es eine optische Täuschung ist. Das Wissen hebt die Täuschung aber nicht auf: Das ist die Realität des Zaubers, objektiver Geist unseres Gehirns., Bild: Gestaltung: QART, Hamburg.

Entgegen heute allgemeiner Annahme gehören Glauben und Wissen nicht unterschiedlichen Verfahren der Vergewisserung an, sondern bilden eine notwendige Einheit der gedanklichen Arbeit. Es gilt seit frühmittelalterlichen Zeiten, dass man wissen muss, was man glaubt, wenn man den Glauben bekennen soll, weil Glaube ohne dessen Bekenntnis nicht erfahrbar und bestimmbar ist. Auch muss man wissen, dass man gerade in der Wissenschaft auf Glauben angewiesen ist. Die Mathematik steht und fällt mit ihrer Axiomatik, den als unhintergehbar gesetzten Grundannahmen, also mit den sie begründenden Glaubensakten. Jede normalwissenschaftliche Arbeit beginnt mit der Aufstellung von Hypothesen als Form des Dafürhaltens, also des Glaubens. Wissenschaftlich erfolgreich arbeitet, wer solche Hypothesen widerlegt und damit Unsicherheit des Wissens verringert.

Es wird ständig behauptet, Glaubensgewissheit sei eine Form unmittelbarer Weltgewissheit, die nicht über Wissen generiert wird, und man könne diese Gewissheit weder durch Kritik widerlegen noch durch Zweifel erschüttern; sie entspringe vielmehr tiefster Offenbarung durch unmittelbares Erleben. Diese von theologiefreien Spiritualgemeinschaften verbreitete Auffassung widerlegt sich ständig selber in zweifacher Hinsicht: Sie wird ja durch Wissensübertragung vermittelt mit den herkömmlichen Techniken der Begriffsbildung im Lehren und Lernen; sie widerlegt sich zweitens durch die Konfrontation (kognitive Dissonanz) von Augenschein/Evidenzerleben und Realitätszumutung im Scheitern auf den verschiedensten Ebenen. Milliarden von Menschen sprechen und sprachen vom Auf- und Untergang der Sonne, obwohl es die in der Realität nicht gibt, sondern Sprachmetaphorik bleibt.

Die Einheit von Glauben und Wissen wird vor allem in methodischen Vorgehensweisen sichtbar: Wissenschaft wird produktiv durch Kritik, Glaube durch Zweifel. Wer nicht zweifelt, kann auch nicht glauben, wer zu radikaler Kritik nicht fähig ist, kann nicht Wissenschaftler sein. Das gilt in jedem Fall seit Luthers und Descartes’ Zeiten.

Zur Einführung in das Thema zeigen wir den 45-minütigen Video-Vortrag von Prof. Dr. Volker Gerhardt (HU Berlin) und dann legen wir los, damit wir auch als aufgeklärte Vertreter des Wissenschaftszeitalters endlich mit wissenschaftlicher Gewissheit wieder glauben dürfen.

Zur Reihe:

„Die Einheit von Glauben und Wissen“ und „Die Wirkung des Sakralen im Säkularen“ sind die beiden Hauptthemen der Denkerei für das Jahr 2018 – mit Vorträgen von Ulrike Eichler zum Opferbegriff (20.03.18), Richard Faber zur Theokratie (21.03.18), Sigrid Weigel zur politischen Theologie (19.06.18), Inigo Bocken & Bazon Brock zur Trinität (20.06.18), Georg Bertram & Inigo Bocken zu Hegels Text „Glauben und Wissen“ (voraussichtlich September 2018) u.a.

Literatur zum Einlesen:

Volker Gerhard: Glaube und Wissen. Ein notwendiger Zusammenhang. Stuttgart: Reclam, 2017. https://www.reclam.de/detail/978-3-15-019405-8/Gerhardt__Volker/Glauben_und_Wissen

Termin
06.03.2018, 18:30 Uhr

Veranstaltungsort
Berlin, Deutschland

Veranstalter
Denkerei

Veranstaltungsort
Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin